Montag, 2. Juni 2008

GoEast 2008 (1) Swarzkopf von EPD-Film


Die Journalistin Barbara Schwarzkopf hat einen Artikel über das GoEast Festival in Wiesbaden geschrieben und ich bekam den Eindruck, daß wir auf verschiedenen Festivals waren. Von dem was sie ganz am Anfang über das Ost-West Verhältnis schreibt, bekommt man eine Vorstellung über ihr eigenes Verhältnis zu Osteuropa, bzw. zum osteuropäischen Kino. Gewiss, man versucht bei westlichen Festivals das sogenannte Autorenkino einzuladen und Filme über große Probleme dort drüben zu zeigen. Es gibt aber ein ABER, beim GoEast 2008 wurden nicht nur solche Filme gezeigt, es gab auch witzigere Komödien, gute Unterhaltungsfilme, etc. Schließlich ist eines der Standbeine des Festivals das Kinosymposium. In diesem Jahr konnte man dort Dokumentarfilme aus dem ehemaligen Jugoslawien und den Nachfolgestaaten sehen und darüber diskutieren. Es ist schade, wenn, um eine Schnapsidee zu unterstützen, alles, was nicht dazu gehört, ausgelassen wird. In einem bin ich aber durchaus einverstanden, dass der beste Film PROSTYJE VESCHI aus Rußland kam und ich hätte ihm sogar den Hauptpreis gegeben. Übrigens im FILM DIENST gab es einen ganz anderen Blick auf dieses Festival, ich werde es bald beim SLAVONIC DANCES blog stellen.

Klassisch melancholisch
Festival des mittel- und osteuropäischen Films in Wiesbaden: Wahrhaftiger, tiefsinniger oder einfach nur deprimierender - das Kino Osteuropas reibt sich gerne am eigenen Klischee

Für das Verhältnis von Ost und West in Europa sind Filmfestivals ein geradezu verräterischer Indikator. In Westeuropa gibt es gleich mehrere, die sich ganz dem Filmschaffen Osteuropas verschrieben haben, in Osteuropa kein einziges, das sich in vergleichbarer Weise mäzenatisch um das Autorenkino des Westens bemüht. Was als großzügige Geste westlicher Kulturinstitutionen daherkommt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als besondere Anspruchshaltung: Der osteuropäische Film soll zumindest »anders« sein, »tiefer« und »wahrhaftiger« als die übliche Kinoware des Westens, warum sollte man ihn sonst pflegen und unterstützen? Das neu entstandene kommerzielle Genrekino des Ostens sieht man deshalb nur in Ausnahmen auf den Festivals des Westens. Dort bevorzugt man selbstverständlich das Autorenkino, das besonders »echt osteuropäisch« erscheint, je düsterer und existenzieller es zugeht. Womit ein eigenes Problem entsteht: Festivals wie Go East in Wiesbaden müssen sich laufend bemühen, bei der Auswahl des Programms nicht dem eigenen Klischee vom osteuropäischen Film aufzusitzen.
Der estnische Beitrag MAGNUS (Regie: Kadri Kousaar), der in diesem Jahr den Hauptpreis in Wiesbaden gewann, scheint auf jeden Fall den Beweis antreten zu wollen, dass im Hang zur schonungslosen Darstellung verheerender Zustände tatsächlich die besondere Stärke des osteuropäischen Films liegt. Nach einem wahren Fall gedreht, erzählt der Film von einem jungen Mann, der Selbstmord begeht, und seinem Vater, der ihn »gehen lässt«. Der Natur der Sache nach ist es ein deprimierender Film, dessen Wirkung noch verstärkt wird durch die Tatsache, dass die Rolle des Vaters gespielt wird vom »echten« Vater des Selbstmörders. In einer Art Epilog sieht man ihn mit einem kleinen Kind auf dem Schoß - heute würde er es nicht mehr so weit kommen lassen.
Dass die gesellschaftliche Krise in Osteuropa etwas mit der Unzuverlässigkeit oder der Abwesenheit von Vätern zu tun hat, wurde auch im polnischen Beitrag ALLES WIRD GUT deutlich. Dort versucht ein 10-Jähriger, ein Wunder für seine sterbenskranke Mutter zu erwirken, indem er zur Schwarzen Madonna in Tschenstochau läuft. Sein Sportlehrer drängt sich ihm als Begleiter auf - aus rein egoistischen Interessen. Der Vater des Jungen 
war Alkoholiker, weshalb der Junge messerscharf die wahren Probleme des Sportlehrers erkennt. So wundergläubig er sich als Pilger geriert, so pragmatisch weiß er mit dem Alkoholiker umzugehen. Und wie oft in Filmen, in denen Kinder an der Seite von Erwachsenen spielen, ist es nicht der Kleine, der lernen muss, sondern der Große. Statt des Wunders kommt es am Ende zu einer Andeutung von Hoffnung - immerhin.
Obwohl in der traurig-depressiven Grundtendenz geradezu »klassisch osteuropäisch«, gelang es dem serbischen Beitrag LIEBE UND ANDERE VERBRECHEN von Stefan Arsenijevic (in Wiesbaden ausgezeichnet mit dem Preis für beste Regie), die üblichen Klischees aufzugreifen und gleichzeitig zu durchbrechen. Dort plant Anica, die Geliebte des örtlichen Obermafioso, das Land zu verlassen. Stanislav, seine rechte Hand, weiß um ihre Pläne und will den letzten Tag noch nutzen, um ihr seine Liebe zu gestehen. Schon als kleiner Junge hat er sie verehrt, und nun zeigt er ihr die Orte, an denen sie zum ersten Mal das Wort an ihn gerichtet hat: »Geh nach Hause, du Rotznase!«
oder er sie zum ersten Mal nackt gesehen hat - heimlich durchs Fenster. Nach und nach überlagert die melancholische Liebesgeschichte das mafiöse Setting und statt von Gewalt erzählt der Film von der verheerenden Macht zarter Gefühle - es geht natürlich trotzdem nicht gut aus.
Das war beim schönsten Film des Festivals, dem russischen Beitrag EINFACHE DINGE (Regie: Aleksei Popogrebsky), anders. Dort hat es der Anästhesist Sergej im neuen Russland nicht weit gebracht (und wer hat es im neuen Rußland ihrer Meinung nach weit gebracht, Abramowitsch und Putin zusammen mit Medwedew? denkt die Autorin daß sie selbst weit gebracht hat? - bozhidar): Noch immer wohnt er in einer alten Kommunalwohnung, wo ein Georgier ins Gemeinschaftstelefon schreit und eine alte Frau grußlos durch die Küche schlürft. Für eine »gute Betäubung« lässt er sich gerne extra bezahlen. Als ihm seine Frau verkündet, dass sie noch ein Kind erwartet, sieht er sich dem nicht gewachsen. Der Film ist das mutige Porträt eines sympathischen, aber nicht ganz anständigen Menschen. Im Reich dieser Zwiespältigkeit entdeckt er eine großartige Fülle an Nuancen - eine Qualität, fьr die die osteuropäischen Filme einst besonders berühmt waren. Barbara Schweizerhof

Sergej Puskepalis als Anästhesist Sergej im Film PROSTYJE VESCHI / Einfache Dinge

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