Freitag, 27. Juli 2007

Sommer ist Festivalzeit, nicht nur in Deutschland. In Osteuropa ist auch so viel los, was besonders hier im deutschen Südwesten bewusst oder auch unbewusst ignoriert wird. So zum Beispiel schrieb der Freiburger „Sonntag“ oder die „Badische Zeitung“ über das Festival in Roskilde als das größte in Europa, wobei schon seit Jahren diesen Titel das ungarische Sziget Festival hält, das mit seinen 369 000 Besucher im vorigen Jahr gegenüber 79 000 in Dänemark fast fünf Mal so groß ist. Oder zum polnischen Przystanek Woodstock (Haltestele Woodstock) das sich als das größte "Umsonst & Draussen" Festival in Europa präsentiert, zu dem im Jahr 2004 400 000 Gäste kamen. Aber unsere Dreyeckland ist, wie die Russen sagen, „ein Bäreneck“, was die Länder Mittel- und Osteuropas betrifft, die neuen EU-Länder inklusive! In Wrocław war ich nur eine Woche und war tief beeindruckt von der Vielfalt des sommerlichen Kulturangebots. Okay, die Stadt ist drei Mal größer als Freiburg, und logischerweise sollte es dreimal mehr Kultur geben als in Freiburg... Es ist aber zehn mal mehr, ohne Witz!

Zum Beispiel das BRAVE FESTIVAL, das zum dritten Mal vom 7.-14. Juli stattfand. Seine Anfänge liegen im Theater. Die Polen sind genauso theaterverrückt wie die Engländer und die Idee eines Theaterfests ist somit logisch. Es ist aber viel mehr geworden und das beweist auch das Programm. Warum eigentlich BRAVE?

Weil “the Brave Festival – the festival of brave people, people who speak about where they come from, what their values are and what their tradition and spirituality is. A festival not about works of art, but about art through which it is possible to save and protect thousands of forgotten, abandoned and forlorn cultures and people…A festival of people who do not accept the models promoted by mass culture, people searching for the deepest possible sources of inspiration – the inner one. Sensitive and tolerant people who are not afraid to extend their sensitivity” ist das Motto dieses Fests, wo verschiedene Kulturen und Künste aufeinandertreffen.

Ich war bei dem Konzert von BISTRI VODI (Die Schnellen Gewässern), die traditionelle Musik aus Mazedonien präsentierten. Ein richtig stimmungsvoller Auftritt von einem großartigen Kollektiv, nur die Athmosphäre war ein bisschen akademisch. Es fand in einer ehemaligen Kirche statt, in kościół św. Katarzyny_ die in ein Konzertsall umprofiliert wurde. Vielleicht das war der Grund, aber viel mehr ich denke, wenn die Musiker nicht immer gesessen hätten, wäre es toller geworden, und da nervte noch ein älterer Mann, der stand vor der Bühne und erzählte immer wieder mit einer Dolmetscherin über die mazedonischen Musikinstrumente und mazedonische Folklore... Wozu? Könnten die Musiker es selbst nicht tun? Auf jeden Fall könnte man auch zu dieser Musik gut tanzen und das machten in den hinteren Reihen die Fans von Balkanmusik.

Das zweite große Erlebnis war das SLOT ART FESTIVAL in Lubiąż, das ist nur ein Dutzend Kilometer von Wrocław entfernt und ist eine Art D.I.Y. Festival, deren Teilnehmer der Freiburger Bürgermeister Solomon bei uns letztes Jahr verhaften ließ. SLOT anscheinend genannt nach dem englischen Slot, bekannt aus der Computer- oder Luftfahrtsprache. Was interessant ist, denn in der polnischen Sprache „Lot“ bedeutet der Flug. Der Sammelflugplatz befindet sich seit Jahren auf dem Terrain des prachtvollen Kloster aus dem 17. Jahrhundert. Derzeit gehört das Ganze einer Stiftung, die durch verschiedene kulturelle Aktivitäten versucht das Barockensembele zu renovieren. Einer dieser Aktivitäten ist das SLOT FESTIVAL, das jedem erlaubt, viel mehr als nur Zuschauer zu sein. Jeder, der sich rechtzeitig anmeldet, kann einen Workshop, bzw. ein Seminar registrieren und durchführen (interessanter Weise heißt im Polnischen Workshop „Warsztat“!). Es gab in diesem Jahr 121 verschiedene Warsztaten und 14 Seminare, von ganz gewöhnlichem Jonglieren oder Didgeridoo bis zu „English Metaphysical Poetry“ oder „Introducting in Modern Art“. Natürlich fehlte es nicht an einem musikalischen Begleitprogramm auf 6 Bühnen.

Am Freitag, den 14. Juni, als ich dort war, spielten auf der großen Bühne im Kloster-Innenhof drei polnische Bands: FULL POWER SPIRIT, ME MYSELF AND I, und FISZ EMADE TWORZYWO. Als die noch jungen Hip-Hopers FULL POWER SPIRIT anfingen, war es noch recht hell und man konnte im Hintergrund das schöne alte Kloster bewundern. Das passte auch zu ihrem Stil, der von Manchen als Katolischer Hip-Hop bezeichnet wird. Auf jedem Fall fanden sie ihre Fans und spielten sogar ein paar Zugaben.

ME MYSELF AND I heißt das TRIO von Magdalena Pasierska, Zgas und Michael Majeran. Die drei Vokalakrobaten sind vor einem Jahr noch als Workshoporganisatoren bei SLOT gewesen, inzwischen wurden sie von der Musikbranche entdeckt und schrieben sogar einen Hit, der als Werbespot eines polnischen Mobilfunkanbieters recht populär geworden ist. Für viele Gäste wurde gerade ME MYSELF AND I zum echten Höhepunkt des Abends, und nach drei, vier Liedern versteht man auch warum!

Und zum Schluss kam FISZ mit seinem Kombattanten EMADE (bitte auf deutsche Weise lesen) samt Band TWORZYWO. Sie waren der eigentliche Grund für diesen Ausflug nach Lubiąż! Ich kenne die Musik von Fisz schon seit seinem zweiten Soloalbum „Na Wylot“ (2001) und jede neue Platte von ihm ist ein Ereignis in der Welt des polnischen Hip-Hops. Zwar ist die kräftige Mischung aus alternativem Rock, Raggey und Sprechgesang schwerlich als Hip-Hop zu bezeichnen, trotzdem habe ich auf jeden Fall bekommen, was ich wollte. Alle Hits von Fisz Live unter freiem Himmel, und wenn ich auch nicht viel von den Texten verstehen konnte, war es ein Superkonzert.


Wer weiß, vielleicht fahre ich nächstes Jahr wieder nach Polen, nach Wrocław, und auch im Juli, weil es bleibt noch ein Filmfestival übrig, dem ich noch nicht meine Aufmerksamkeit schenken konnte. Es heißt ERA NOWE HORYZONTY und läuft noch bis Sonntag, den 29. Juli in Wrozlaw. Außer dem Wettbewerb und buntem internationalen Programm, z.B. Australisches Kino und einer Fellini-Retrospektive, wird dort auch eine Auswahl an aktuellen, polnischen Filmen (auch Kurzfilmen) gezeigt. Ein Programm zum 50-jährigen Bestehen der polnischen Filmschule und eine Hommage an Zbigniew Cybulski – Ikone des Polnischen Kinos der 50er –60er Jahre. Als ich die schöne Stadt Wroclaw verließ, fuhr mein Zug nach Zgorcelec/Görlitz gerade von dem Bahnsteig ab, wo der polnische James Dean – Cybulski – seinen letzten Schritt zur Ewigkeit gemacht hat. Das war im Januar 1967, ist aber schon eine andere Geschichte.


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